Anlass zur Hoffnung
Ida Schildhauer ist seit Jahrzehnten mit deutschlandweiten Projekten im Kultur- und Bildungsbereich aktiv, wie etwa der temporären Galerie am Campus Rütli in Berlin. Christian Petry (1941-2018), langjähriger Geschäftsführer der Freudenberg Stiftung, hat die demokratische Zivilgesellschaft in Deutschland geprägt. Anetta Kahane schrieb in ihrem Nachruf im November 2018 in der Berliner Zeitung: „Viele der Dinge, die heute selbstverständlich sind, gehen auf seine Ideen zurück. Er war ein zutiefst liberaler Mensch mit klarer moralischer Haltung, die Rassismus oder Antisemitismus ohne Wenn und Aber ausschloss.“
Liebe Ida Schildhauer, lieber Christian Petry, ihr arbeitet schon sehr lange und erfolgreich mit Kunst- und Kultur im Bildungsbereich. Mit welchen Erwartungen und Problemen habt Ihr es da zu tun?
Der Zugang zu Bildung und der Zugang zu Kunst sind für mich Menschenrechte. Nicht zuletzt deshalb, weil Bildung und kreatives Handeln wirklich viel bewirken kann – gesellschaftlich und individuell. Im Laufe der Zeit haben sich die eigentlichen Schwerpunkte meiner Arbeit kaum verändert. Man muss sehr sorgfältig arbeiten und selbstkritisch sein, um etwas zu erreichen. Gut ist, dass es heute viel mehr Problembewusstsein auf allen Ebenen gibt. Aber es war ein langer Weg dahin und er ist noch nicht zu Ende. Wir haben heute ein anderes Europa, eine ganz andere Situation als vielleicht vor 20-30 Jahren. Der Einfluss von Bewegungen weit rechts, das Kriminalisieren von ethnischen Gruppen, der Umgang mit Geflüchteten, das hat sich verschärft und ist kaum zu ertragen. Das betrifft auch Gewalt und Antisemitismus an Schulen. Ich wünsche mir, dass über Kunst Selbstbewusstsein, politisches Bewusstsein und Empathie gestärkt werden.
Ja, da ist viel geschafft und gleichzeitig gibt es leider noch viel zu tun. Warum dachtet Ihr nun, man bräuchte eine neue Plattform, ein Forum für demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst?
Der Kulturpessimismus hat eine lange Geschichte in Deutschland und hat sich stets als politische Gefahr erwiesen.
Es gibt eine Tradition der Artikulation von Kunst in der deutschen Geschichte, die das Gegenteil begünstigt von dem, was wir als wünschenswerte Grundlage und Ziele eines Forums für demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst verstehen: eine kulturpessimistische Orientierung. Der Kulturpessimismus hat eine lange Geschichte in Deutschland und hat sich stets als politische Gefahr erwiesen. Eines seiner Merkmale ist die Abwehr von Modernität, man könnte auch sagen, eine Blockade der Suche nach fortschrittlichen Entwicklungsmöglichkeiten, nach neuen Chancen und nach Bindungen an die Suche nach solchen Chancen. Kulturpessimismus bedroht also eine personale Entwicklung, die ihre Hoffnung auf die Nutzung und Gestaltung der Freiheit legt, und diese zum Motiv der Identitätsbildung machen möchte. Zusätzlich stärkt Kulturpessimismus eine starre identitäre Abwehr der Entwicklungsmöglichkeiten, die das Zusammenwachsen einer globalen Welt und die Geltung universaler Werte bieten. Also, Kulturpessimismus zu erkennen und die darauf folgende Erkenntnis nach Fritz Stern, dass Kulturpessimismus eine „politische Gefahr“ sein kann, sollte für die Kunst eine Voraussetzung sein.
In unseren Vorgesprächen hast du öfter über die Beziehung von Hoffnung und Kulturpessimismus gesprochen.
Eine Bedingung des Nachdenkens über Kunst und Politik und die Rolle des Kulturpessimismus, bedeutet anzuerkennen, dass Kulturpessimismus eine Gefahr war und demnach auch heute sein kann. Das muss erstmal klar sein. Was wäre also heute diese politische Gefahr? Wie kann man diese beschreiben oder überhaupt identifizieren? Dabei kommt man um die Betrachtung gehabter kulturpessimistischer Erscheinungen nicht herum. Und dann wird auch klar, wie er sich entwickelt – nämlich langsam. Er zeigt sich nicht schnell. Er erscheint nicht als Revolution. Aber es geht auch nicht ohne die Qualifizierung der Hoffnung, angesichts derer sich manche zu Kulturpessimismus gezwungen fühlen.
Was ist die Hoffnung, die hinter dem Kulturpessimismus steht?
Wir brauchen eine Praxis der Hoffnung!
Ich glaube es ist eine Sammlung von Antworten, aber zentral ist hier der Aspekt der Identität. Die Hoffnung ist, dass man durch die Pessimismusfrage auch die Identitätsfrage löst – es geht darum seine Zugehörigkeit zu der Gruppe zu artikulieren. Und das ist genau die Gruppe, die eben nicht verantwortlich für das Übel der Welt ist. Wenn man kein Kulturpessimist ist, dann ist die die Hoffnung und die Suche nach Identität anders qualifiziert, nämlich durch Religion, Kunst, Ethik und Wissenschaft. Wenn wir so weit sind zu sagen, Kulturpessimismus blockiert unsere Entwicklung und kann immer zur politischen Gefahr werden, dann gibt es zusätzlich auch die Hoffnung den Kulturpessimismus zu beseitigen. Wir müssen also Hoffnung schaffen und Pessimismus verneinen. Wir brauchen eine Praxis der Hoffnung! Warum kann sich darum nicht auch die Kunst kümmern?
Ja, die Kunst scheint dafür ein gutes Mittel zu sein.
Es geht dabei auch darum, Kunst mit einem gesellschaftlichen Auftrag zu versehen.
Für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist kaum etwas so geeignet wie Kunstprojekte. Das hat sich für die Kinder, die Jugendlichen aber auch für die Lehrer und die Institution Schule mehrfach bewährt. Es geht dabei auch darum, Kunst mit einem gesellschaftlichen Auftrag zu versehen. Und das ist für mich die inhaltliche Verknüpfung zum Forum. Auch und gerade Künstler*innen sollten mögliche Gefährdungen für ihre Gesellschaft erkennen – z.B. das massive und weltweite Erstarken von radikalen neurechten Bewegungen – und diese nach Innen und Aussen durch Kunst kommunizieren. Das bedeutet aber auch, dass sie sich stärker einmischen sollten – als politische Akteure – was sie begründet durch ihre öffentliche Praxis nun mal auch sind! Wer von Kunstfreiheit profitiert, sollte auch für die Kunstfreiheit einstehen. Das meine ich mit „Auftrag“. Das Forum soll Künstler*innen und Expert*innen zusammenbringen die zusammen antirassistisch, offen, liberal, demokratisch und international denken...
… und kritisch denken...
...das stimmt, aber nicht in einer Art von Selbstzerstörungsmodus. Man muss der Kunst und der Kunstkritik auch sagen, dass es nicht nur darum geht, die Schlechtigkeit der Welt zu beweisen. So kann Kulturpessimismus in eine sich selbst erfüllender Prophezeiung münden. Dazu nur ein prominentes Beispiel: jeder vierte Deutsche hat Migrationshintergrund – wann fangen wir an uns darüber zu freuen und die Chancen, die sich daraus ergeben zu nutzen? Auch in den Kunst- und Kulturinstitutionen und auch im privaten Umfeld.
Ich traue der Kunst viel zu – im Guten wie im Schlechten.
Man darf nicht vergessen, dass Kunst von vielen Seiten instrumentalisiert wird. Z.B. um den eigenen politischen Standpunkt zu zeigen. Wenn sich die Künstler*innen und Institutionen das vergegenwärtigen, gibt es vielleicht auch weniger Kunst, die z.B. andere exotisiert. Das Forum könnte darüber mehr Klarheit schaffen. Ich habe mir über meine Arbeit an Kunstprojekten mit jungen Menschen eine Art Frühwarnsystem antrainiert. Es geht immer dann an, wenn ich denke irgendwas läuft falsch. Es funktioniert auch immer mehr beim Betrachten von Kunst. Wenn ich z.B. eine Arbeit sehe, die mich an Leni Riefenstahl erinnert, dann gehen die Alarmlämpchen an. Ich identifiziere da inhaltliche und ästhetische Probleme, die in der Konsequenz auch eine Bedrohung für unsere demokratische Kultur sein könnten. Die Wirkungsmacht von Kunst im politischen Diskurs sollte man auf keinen Fall unterbewerten. Ich traue der Kunst viel zu – im Guten wie im Schlechten. Daher wünsche ich mir sehr, dass das Forum dazu beiträgt, die Freiheit und damit die Offenheit der Kunst für eine tolerante und weltoffene Gesellschaft zu nutzen.
Den Dreisatz aus Kulturpessimismus, Kunst und Identität zu beschreiben, könnte ein möglicher Denkradius für das Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst sein. In diesem Zusammenhang ist es ein unbedingt notwendiges Projekt und gibt schon deshalb Anlass zur Hoffnung.