ANTIMODERNE KONTINUITÄTEN – Die Projektion auf den Osten
17. April – 14. May 2020,
Folge 2: Die Projektion auf den Osten
Video Lecture vom Forum auf Einladung der Weserburg Museum für moderne Kunst Bremen.
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Die Projektion auf den Osten
Die Projektion auf den Osten, als Gegenbild zu einer komplexen, modernen Welt, hat in Deutschland eine lange Tradition. So wurden die meisten antimodernen politischen Bestrebungen und Ideologien in Deutschland, über eine emotionale Nähe zum Osten propagiert. Der Osten ist dabei nicht rein geografisch zu verstehen. Vielmehr steht er für die Haltung einer kulturellen Volksgemeinschaft, die typische antimoderne Elemente, wie Authentizität, Natürlichkeit und Ursprünglichkeit aufrufen. Die Projektion auf den Osten beflügelte und beflügelt identitäre, völkische, rechts- und links revolutionäre Phantasien und bringt antiwestliche Schwärmer und Ideologen zusammen. Heute gilt der Osten Deutschlands zunehmend als Gegenbild zur alten Bundesrepublik. Er ist zu einer Chiffre geworden, die eine identitäre Gegenkultur zum Ausdruck bringt, in der den einen der Osten als deutscheres Deutschland gilt und den anderen als das solidarischere. In jedem Fall aber dient die gegenwärtige Projektion auf den Osten der Identitätsstiftung. An dieser Stelle entsteht eine kulturelle und politische Querfront, die antimoderne Kontinuitäten in ein identitäres Konzept von Zugehörigkeit gießt.
Konservativ-revolutionäre Kreise sahen bereits zum Anfang des letzten Jahrhunderts die Zukunft Deutschlands im Osten Europas. Dieses nach Osten gerichtete Denken stand in Opposition zum aufklärerischen, modernen Westen. Trotz der regionalen Nähe zu Frankreich, sah man Deutschland als Teil der östlichen Hemisphäre. Mit der Projektion auf den Osten, wurde ein nahezu spirituelles, mythisch überhöhtes Sehnsuchtsgefühl nach Ursprünglichkeit und Authentizität verknüpft. Gleichzeitig ging dies mit einer deutschen Selbstüberhöhung über die sogenannten Ostvölker einher. Man strebte eine neue geopolitische Weltordnung an, die die Zukunft der Deutschen auch im Osten sah.
75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg und 30 Jahre nach der sogenannten „friedlichen Revolution“, ist der Begriff des Ostens nunmehr an die innerdeutschen Kämpfe um die eigene Kultur und Tradition gebunden. Deshalb hat der Osten eine hohe kulturelle Attraktivität für Projektionen aller politischer Lager. Auch in Westdeutschland ist der Osten somit eine attraktive Identifikationsfigur für die neuen, identitären politischen Bewegungen.
Der bereits 1925 verstorbene Literaturkritiker und Publizist Moeller van den Bruck ist einer der wichtigsten Vorbereiter des Ost-Denkens. Er gehörte zum ideologischen Grundbestand der national-revolutionären Rechten und gilt als Prophet des Dritten Reiches. Über längere Zeit war er in Vergessenheit geraten. Aber vor allem durch jüngere rechtsextreme Kreise wie die Identitäre Bewegung, die ihren Rechtsradikalismus auch intellektuell begründen wollen, hat er zu neuer Aktualität gefunden. Wie auch Oswald Spengler hing er einer Ideologe an, die die Zukunft des deutschen Reiches im Osten sah. Moeller van den Brucks Denken verband darüberhinaus monumentale Ästhetik mit der Zukunftsidee einer imperialen deutschen Nation. 1941 brach Adolf Hitler den Pakt mit Josef Stalin und bereitete mit dem „Unternehmen Barbarossa“ den sogenannten Ostfeldzug vor. Die Landnahme, Unterwerfung, Vertreibung und der massenhafte Mord im Osten, stand auch in der Kontinuität eines kolonialen, deutschen Selbstverständnisses. Hitlers Satz „Russland ist unser Indien und die Wolga ist unser Niger“, zeigt diese Verbindung deutlich auf. Es ist nicht unerheblich diesen vernichtenden, kolonialen Eifer im Hinterkopf zu behalten, wenn auch heute von Kolonialisierung im Zusammenhang mit dem Osten die Rede ist – wenn auch mit veränderten Vorzeichen.
In einem Beitrag für »Die Zeit« stellte Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, die rhetorische Frage warum die AfD in Ostdeutschland soviel Zuspruch erfährt. Seine Antwort: Den Ostdeutschen wurden ihre Identität und ihre Lebensgeschichte durch einen “innerdeutscher Kolonialismus” geraubt. Im Kunst und Kulturfeld ist des öfteren die Rede von einem durch den Westen usurpierten Osten. Daher wird auch hier ein postkolonialer Diskurs über die Nachwendezeit gefordert. Als gäbe es einen gemeinsamen Erfahrungshorizont der heute lebenden Ostdeutschen mit den Nachkommen der Herero und Nama, oder der Völker, die im zweiten Weltkrieg, östlich der Oder und Neisse überfallen wurden. Ganz so, als gäbe es keine andere Möglichkeit, die Umbrucherfahrungen der Ostdeutschen zu studieren und zu thematisieren, als die Mittel der postkolonialen Forschung zu bemühen. Dies ignoriert, dass sich die post colonial studies aus ganz spezifischen historischen Zusammenhängen entwickelt haben und dort auch in ihren Beweggründen unteilbar sind. Der angebliche innerdeutsche Kolonialismus wird so mit der tatsächlichen deutschen Kolonialvergangenheit in Konkurrenz gesetzt. Es geht dabei aber nicht nur darum, die Mittel der postkolonialen Forschung auf die „Nachwendezeit“ anzuwenden. Vielmehr dient paradoxerweise die Einführung des Kolonialismusbegriffs in die deutsch-deutsche Debatte dazu, von der Aufmerksamkeit um den notwendigen Diskus über die tatsächliche Kolonialgeschichte Deutschlands zu profitieren. Diese argumentative Figur wird auch im Kulturmilieu bemüht und als progressiv und emanzipatorisch gelabelt. Gerade weil eine unbedingt notwendige Aufarbeitung der kolonialen Schuld Deutschlands erst begonnen hat, ist die Ausweitung des Kolonialismusbegriffs auf Ostdeutschland besonders zynisch.
Der Kolonialismusvergleich ist Teil einer Debatte um das sogenannte Ost-Erwachen. Dieser Begriff wurde von der Soziologin Naika Foroutan vor zwei Jahren ins Spiel gebracht. Foroutan formulierte damals ihre These von der Vergleichbarkeit der Abwertungserfahrungen ostdeutscher und migrantischer Personen. Umgehend wurde Foroutans These von einem ostdeutschen Diskurs gekapert und in der Konsequenz als eine ostdeutsche Opfererzählung etabliert. Diese Opfererzählung führte direkt in eine Täter-Opfer-Umkehr, die auch den Rassismus und den rechten Terror der „Nachwendezeit“ entlastete. Die Pogrome von Rostock Lichtenhagen, der Erfolg von Pegida und der AfD, wurden so als Reaktion auf vermeintlichen Ausverkauf und Übernahme durch die Bundesrepublik gewertet. Die Schriftstellerin Jana Hensel schrieb etwa, dass man erst durch Pegida schonungslos über den Osten sprechen würde. Dass der Rassismus im Osten auf eine Kontinuität zurückblicken kann, die nicht mit der Gründung der selbsternannt antifaschistischen DDR abbrach, wird dabei geleugnet, relativiert oder gar legitimiert. Stattdessen wird der Rassismus als Importprodukt aus dem Westen gesehen. Bei einer Veranstaltung mit dem Titel „Im Osten geht die Sonne auf“, sagte Hensel sinngemäss, dass der Rassismus in der DDR Systemkritik war – und im Westen hingegen Rassismus. Aus Foroutans Vergleich, strickte sie einen kausalen Zusammenhang zwischen den „Wende“-Erfahrungen der Ostdeutschen und den rassistischen Pogromen der „Nachwendezeit“. So wird aus Rassismus ein Akt des Widerstands einer vermeintlich angestammten Volksgruppe konstruiert, die sich lediglich gegen ihre Usurpation verteidigt. Aus der Frage nach vergleichbaren Erfahrungshorizonten wird eine Opferrolle abgeleitet, die gleichsam eine Erklärung für rechtsextremen Terror liefert.
Das Ost-Erwachen zeichnet so das Bild einer geradezu indigenen Ostbevölkerung, die sich in einem dauerhaften Zustand der Selbstverteidigung befindet und die es zu beschützen gilt. Gerade die Wirkmächtigkeit des widerständigen, authentischen Ostens ist attraktiv für die Debatten der Kunst. Bereits Joseph Beuys hat eine authentische Natur der gekünstelten Zivilisation gegenübergestellt. Das drückte sich vor allem in seiner Idee vom „Ostmenschen“ aus. Der ganzheitliche, triebhafte und natürliche „Ostmensch“ trifft bei Beuys auf den rationalen und leblosen Westmenschen. In diesem Konzept gründet sich Beuys’ Utopie von „Eurasien“. Diese Utopie hat nichts an ihrer Aktualität verloren. Hinter ihr versammelt sich heutzutage eine antiwestliche Querfront aus Putin-Apologeten, Endzeitpropheten, Verschwörungstheoretikern und anderen demokratiefeindlichen Ideologen, .
Auch in der Kunst wird der Ruf nach Widerstand, der sich im ostdeutschen Opfermythos begründet laut. Es gibt Künstler*innen und Literat*innen, die sich im selbst ernannten Dissidentenstatus wähnen und in die neurechte Kakofonie direkt einstimmen. Früher war man im Widerstand gegen das Regime der DDR, jetzt gegen die sogenannte Merkel-Diktatur. Begriffe wie „Gesinningskorridor“ und „DDR2.0“, die die Meinungsfreiheit in Deutschland in Frage stellen sollen, werden nun nicht nur von Pegida und Co., sondern auch von einem Kreis vertreten, der sich selbst als konservatives Kulturbürgertum versteht. So hat der von rechts ausgerufene „Kulturkampf“ um die Deutungshoheit des deutschen Ostens schon jetzt seine Künstler gefunden, die zu den großen, repräsentativen Namen der deutschen Kunst zählen. Dazu gehören unter anderen Georg Baselitz, Neo Rauch und Uwe Tellkamp. Sie beanspruchen für sich eine Künstler-Autonomie, die sie einerseits gegen politische Zuschreibungen und Kritik schützen soll. Andererseits um der Selbstbehauptung Nachdruck zu verleihen, sie würden sich lediglich im Widerstand gegen den einen angeblich linksdominierten Mainstream befinden. Daraus ergeben sich persönliche und politische Schulterschlüsse dieser kreativen Zirkeln mit der neurechten Szene. Sie sehen ihren politischen und kulturellen Kampf als einen impliziten Nachweis, dass nur sie die Verteidiger von Kunst- und Meinungsfreiheit sind.
Der ostdeutsche Opfermythos dient einer kollektiven Selbstentlastung. Erst ist man selbst Opfer des Nationalsozialismus gewesen – in der DDR hat man gelernt, dass die Arbeiter die ersten Opfer des NS waren. Dann wurde man Opfer von Stasi und der DDR-Eliten. Dann kam die Wende und mit ihr der Kapitalismus. Dieser, sich ständig an den Zeitgeist anpassende Opferstatus, dient sich nun den innerdeutschen Identitätsdebatten an und eröffnet – als gesamtdeutsche Projektion – die verlockende Möglichkeit, sich der eigenen deutschen Schuldzusammenhänge zu entledigen. Die ostdeutsche Selbstviktimisierung ist somit ein wichtiger Teil einer gesamtdeutschen Entschuldungsstrategie geworden. Der Osten wird als Carte Blanche für Projektionen – von ansonsten antagonistischen politischen Lager – genutzt. Übereinkunft finden diese Lager, in einer identitären Zuschreibung, die über die Projektion auf den Osten, ihr Bedürfnis nach einer ungebrochenen Identität befriedigt. Hier liegt die Verheissung einer vermeintlichen ostdeutschen Schicksalsgemeinschaft, in der Opfermythos und Aufbegehren ein neues deutsches Identitätsbedürfnis stillen.