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ANTIMODERNE KONTINUITÄTEN – Kulturpessimismus als Querfront

09. April – 06. May 2020,

Folge 1: „Kulturpessimismus als Querfront“

Video Lecture vom Forum auf Einladung der Weserburg Museum für moderne Kunst Bremen.

Video Lecture vom Forum auf Einladung der Weserburg Museum für moderne Kunst Bremen.

Folge 1: Kulturpessimismus als Querfront hier ansehen

Demokratiefeinde haben es nicht schwer, denn ihre Meinung steht unter dem Schutz der Demokratie. Ähnlich ist es auch bei Kulturpessimisten. Sie können sich ihren Pessimismus sprichwörtlich leisten. Dabei sind nicht alle Kulturpessimisten gleich. Es gibt einen Unterschied zwischen dem rechtsextremen Kulturpessimismus auf der einen Seite und der Anschlussfähigkeit seiner Feindbilder in progressiven Milieus auf der anderen Seite. Die Konturen der politischen Lager über gemeinsame Feindbilder aufzulösen ist jedoch das Wesen des Kulturpessimismus. Genau dieses Phänomen führt zu einer ungewollten Annäherung progressiver Milieus an reaktionäre Weltbilder. Tatsächlich haben Globalisierung und Modernisierung zu einer Angst vor Identitätsverlust geführt. Diesem Gefühl mit Kulturpessimismus zu begegnen ist jedoch destruktiv und regressiv.

Was ist also der Kulturpessimismus? Der Kulturpessimismus ist eine Abwehr von Modernität. Er blockiert fortschrittliche Entwicklungsmöglichkeiten und die Suche nach neuen Chancen. Damit bedroht der Kulturpessimismus die Entwicklung des Individuums, das seine Identität über die Nutzung und Gestaltung der Freiheit bilden möchte. Zusätzlich wehrt Kulturpessimismus die Entwicklungsmöglichkeiten ab, die das Zusammenwachsen einer globalen Welt und die Geltung universaler Werte bieten. Stattdessen entsteht der Wunsch nach einer ungebrochenen Identität, die sich an tradierten Gesellschaftsrollen orientiert. In der Verdrängung und Auflösung dieser starren Rollen durch Fortschritt und Moderne, sehen Kulturpessimisten also eine direkte Gefahr für ihre Identität. Einzig ein radikaler Richtungswechsel kann ihrer Meinung nach diese Dynamik aufhalten. Trotz einer fatalistischen Denkweise, gibt es also auch einen Moment der Hoffnung beim Kulturpessimisten. Denn er oder sie glaubt, dass sich mit der Lösung der Pessimismusfrage auch die Identitätsfrage löst. Das bedeutet, dass es schlicht darum geht, die Zugehörigkeit zur Gruppe zu artikulieren. Und das Selbstverständnis dieser Gruppe bedeutet, eben nicht verantwortlich für das Übel der Welt zu sein. Man nimmt sich selbst aus der Verantwortung. So muss die Gesellschaft also gar nicht erst kulturkritisch gestaltet werden. Sondern es muss lediglich das Fremde – das die Gruppe gefährdende – Element vernichtet werden!

Der Nationalsozialismus wurde von kulturpessimistischen Denkern ideologisch vorbereitet. Der Historiker Fritz Stern hat in seinem Buch »Kulturpessimismus als politische Gefahr« beschrieben, wie die kulturelle Unzufriedenheit immer größere Teile des sogenannten Volkes erfaßte und allmählich Eingang in die Politik fand. Diese Entwicklung in Deutschland wurde von drei Publizisten erheblich beeinflusst: von Paul de Lagarde, Julius Langbehn und Moeller van den Bruck. Ihre Feindschaft gegenüber Modernität, Demokratie, Liberalismus und das Judentum mündete in den Nihilismus der Hitler-Bewegung und half so das »Dritte Reich« herbeizuführen. Das Feindbild, der Störfaktor einer ursprünglichen Gesellschaft waren und sind ihnen vor allem die Juden. Die Juden stehen stellvertretend für den westlichen Kapitalismus, für die Moderne, für die Globalisierung und für das Wurzellose. Kulturpessimisten sehnen sich jedoch nach einer vollkommenen und abgeschlossenen Form der Gesellschaft. Sie stören sich an der Komplexität und am Pluralismus. Dabei inthronisieren sie sich selbst in die Position, die Gesellschaft autoritär zu definieren. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es sofort Versuche und Bestrebungen gibt, jede krisenhafte Situation politisch zu instrumentalisieren. Als Reaktion auf die katastrophale COVID-19 Pandemie, wird das Virus in den rechten Foren als Beschleuniger des Untergangs gefeiert. Rechtsextreme sehnen sich nach dem Zusammenbruch der Demokratie und der offenen Gesellschaft und hoffen, dass die Corona-Pandemie diese Sehnsucht – koste es was es wolle – erfüllt. Dennoch haben Rechtsextreme hier ein reines Gewissen. Die Opfer ihres Kampfes werden einfach zu Märtyrern erklärt.

Das vermeintliche Erkranken an der modernen Welt ist auch in der Kunst ein bekanntes Phänomen. Zwar trifft man im Kunstfeld dieses Extremismus bisher nicht an, aber auch hier haben die Konflikte der Modernisierung Spuren hinterlassen und der gefühlte Identitätsverlust führt zu einem Bedürfnis nach Ausgleich. Man sieht sich hier allerdings vielmehr selbst als Teil des Problems. Schliesslich ist die Kunst hochgradig individualistisch und kosmopolitisch. Aus einer Antithese zum eigenen Lebensentwurf sickern kulturpessimistische Denkmuster auch ins Kunstfeld ein. Versuche diesen inneren Konflikt aufzulösen münden allzu oft in wohlwollenden Paternalismus und in folkloristischen Exotismus. Diese Selbstverleugnung zeigt sich sowohl in einer erhöhten Sichtbarkeit folkloristischer Kunst als auch in der Reproduktion rechter Argumente und Ästhetik. Ein strenger Gegensatz zwischen einer authentischen Natur und einer künstlichen Zivilisation äußert sich auch in der Kunst in der Glorifizierung ursprünglicher und überkommener Traditionen.Rechte Positionen zu verstehen und mit Rechten zu reden ist kein Ausdruck der eigenen Offenheit, sondern deutet lediglich auf eine Offenheit gegenüber essentialistischer Denkweisen hin. Dadurch, dass man dem was man eigentlich ablehnt eine Bühne gibt, wird die eigene Offenheit ad absurdum geführt. Genauso wenig lässt sich aber die westliche Kulturhegemonie durch einen protektionistischen Umgang mit Kultur auflösen. Denn letztlich werden dadurch nicht die progressiven Errungenschaften der Moderne universalistisch eingefordert, sondern die Moderne wird insgesamt in Frage gestellt.

In der »ethnopluralistischen« Identitären Bewegung gilt der Schutz der Kulturen ebenfalls als oberstes Ziel. Sie folgen dabei aber eindeutig rassistischen und antisemitischen Motiven. Darin besteht auch der zentrale Unterschied. Dennoch werden folkloristische Positionen auch in der Kunst romantisiert, um sich symbolisch von der westlichen Kulturhegemonie abzugrenzen. Diese Abgrenzung beschränkt sich aber immer weniger auf die Schuldzusammenhänge der Moderne, sondern die Moderne in ihrer Gesamtheit wird abgelehnt. Hier wird ungewollt das Feld der klassischen antimodernen Feindbilder betreten. Es gibt Künstlerinnen und Künstler die ihren Kulturbegriff bewusst von reaktionären deutschen Autoren der zwanziger Jahre wie Carl Schmitt und Ernst Jünger ableiten. Für sie ist die westliche Kulturhegemonie etwas gänzlich Unnatürliches. Also nicht von selbst gewachsen, sondern ein Resultat westlicher Einflüsse, des Kosmopolitismus, der Globalisierung oder der alliierten Besatzung. Da aber innerhalb dieser westlichen Diskurse die emanzipatorischen und aufklärerischen Kämpfe der Moderne ausgefochten wurden und werden, müssen diese, als eine aufoktroyierte Aufklärung ebenfalls als unnatürlich empfunden werden. An dieser Stelle, wo die Moderne aus zwei völlig gegensätzlichen politischen Richtungen kulturpessimistisch ausgedeutet wird, keimt schon eine kleine Kunst Querfront. Eine ästhetische Querfront, die sich zwar bisher noch nicht so richtig gefunden hat, aber eigentlich in ihrer Sehnsucht nach Traditionalismen und den üblichen Feindbildern, wie Amerika, Israel und natürlich die Moderne selbst, vereint ist.

Über diese Ähnlichkeit in den Feindbildern werden vermeintlich progressive Diskurse der Kunst für Übernahmen durch die identitären Denker der Gegenwart anfällig. Die im Kunst- und Kulturfeld viel beachtete Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe, hat einen linken Populismus, als Reaktion auf einen rechten Populismus gefordert. Der identitäre Nachwuchsautor Benedikt Kaiser schrieb in Götz Kubitscheks neurechter Zeitschrift »Sezession«, dass Linke dieser Forderung doch endlich nachgeben sollten, um einer politischen Querfront nicht länger im Weg zu stehen. Sowohl Chantal Mouffe als auch Benedikt Kaiser beziehen sich affirmierend auf die politischen Thesen des antimodernen und antiliberalen Staatsrechtlers Carl Schmitt. Schmitt sehnt sich nach einer Emotionalisierung der Politik und deutlichen Freund-Feind Antagonismen. Seine Thesen lassen sich nicht aus ihrem antimodernen und kulturpessimistischen Zusammenhang lösen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Schmitts Weltbild gerade bei neurechten Aktivisten und Denkern großen Anklang findet. In einem Beitrag bei Verso Books hatte Mouffe das Momentum Movement der britischen Labour Party als bisher bestes Beispiel für einen effektiven linken Populismus genannt. Die Klagen über den enormen Anstieg antisemitischer Äußerungen und Angriffe innerhalb dieser politischen Bewegung hatte sie als »Schmierenkampagne« sogenannter Blairites innerhalb der Labour Party bezeichnet. Dass die Antisemitismus-Vorwürfe vor allem von Jüdinnen und Juden geäußert wurden, spielte für sie dabei keine Rolle. Vielmehr schienen es auch hier wieder die Juden zu sein, die einer erfolgreichen, geschlossen Gegenbewegung im Wege stehen. Genau an dieser Stelle, an der sich Ambivalenz und Komplexität vor klare politische Antagonismen stellt, entsteht die Querfront, die sich nur noch über tradierte Feindbilder definiert oder sie zumindest in Kauf nimmt. Man ist nicht verzweifelt, weil die aufklärerischen Effekte einer globalen Moderne unter Dauerbeschuss neurechter Gruppierungen und nationalistischer Querfronten stehen, die sich, wie man an den Entwicklungen in Deutschland beispielhaft ablesen kann, um irgendeine kulturelle Identität gebracht fühlen. Sondern man reiht sich ein in diesen Kanon und demontiert damit sich selbst.

Eine Bedingung des Nachdenkens über Kunst und Politik und die Rolle des Kulturpessimismus, ist es anzuerkennen, dass Kulturpessimismus eine Gefahr war und demnach auch heute eine Gefahr sein kann. Das muss erst einmal klar sein. Dabei kommt man um die Betrachtung gehabter kulturpessimistischer Erscheinungen nicht herum. Und dann wird auch deutlich , wie er sich entwickelt – nämlich langsam. Er zeigt sich nicht schnell. Der Kulturpessimisums erscheint nicht als Revolution. Um eine progressive und durchaus radikale Kulturkritik an der Moderne nicht mit Kulturpessimismus zu verwechseln, sollte man also am besten die Schuldzusammenhänge der Moderne mit den Mitteln der Moderne aufklären.

Text: Fabian Bechtle/ Leon Kahane