ANTISEMITISMUS ALS KULTURTECHNIK

Film für das Projekt ASK

2025

Kulturtechniken entwickeln sich über die individuelle und die gruppendynamische Problemlösung. Aus dem Prozess der Problemlösung entstehen Bilder, Sprache und Codes sowie handwerkliche und wissenschaftliche Errungenschaften. Zu den ersten bekannten Bildern gehören Höhlenmalereien von Jagdszenen. Hier wird der Umgang mit einem Problem, das die Gruppe besonders prägt, ästhetisiert und in ein Kunstwerk übersetzt. Gruppen können sowohl die Familie, religiöse und nichtreligiöse Gemeinden als auch überstaatliche Institutionen sein.

Um Antisemitismus zu verstehen, muss man anerkennen, dass Antisemitismus einen kulturellen Wert für eine Gruppe und ihre Individuen hat. Auch hier geht es darum, ein Problem zu lösen. Denn immer dann, wenn die individuellen, aber auch die gruppenbezogenen Probleme so massiv und drängend werden, dass eine Lösung kaum noch möglich zu sein scheint, nimmt der Antisemitismus massiv zu. Dann steigen Menschen aus der progressiven Problemlösung aus und fallen in einen Zustand der Regression. Das bedeutet ein sukzessives Zurückfallen hinter die eigenen kulturellen Möglichkeiten und Erkenntnisse. Eine Frustration stellt sich ein, die bei der Entscheidungsfindung ideologischen Beweggründen Vorschub leistet, selbst wenn dies offensichtlich zum eigenen Nachteil führt. Es müssen nun Wege der Problembewältigung gefunden werden, die neu und dynamisch erscheinen und in die idealistische Vorstellung münden, man könne sich gänzlich von Problemen erlösen. Die Probleme lassen sich so jedoch nicht überwinden, sondern nehmen vielmehr zu. Spätestens hier entfaltet der Antisemitismus sein volles Potenzial. Konflikte und Widersprüche, die sich aus dem individuellen und dem Verhalten der Gruppe verdeutlichen oder gar verstärken, werden auf Juden externalisiert. Juden und die jüdische Kultur werden so zur inneren und äußeren Bedrohung der eigenen Gruppe und damit zur Bedrohung der eigenen Kultur.

Antisemitismus lässt sich als eine regressive Kulturtechnik beschreiben. Das bedeutet, dass Probleme nicht mehr gelöst werden können, sondern aus einem Erlösungswunsch mehr Probleme entstehen. Die eigenen Konflikte, die eigenen Widersprüche oder die eigene Schuld werden auf Juden und das Jüdische externalisiert. Dieses Prinzip bildet seit jeher den Kern der Judenfeindschaft. Antisemitismus ist eine regressive Kulturtechnik, die sich über progressiv aufgeladene Sprache und Bilder Ausdruck verschafft. Sie speist sich aus dem Wunsch nach einer problemlosen Welt, in der man von den eigenen Konflikten und Widersprüchen in Gänze erlöst ist. Die Juden und die jüdische Kultur werden als zentrale Bedrohung für diese konfliktfreie Welt angesehen. Denn seit Jahrhunderten werden sie als Urheber und Profiteure der Konflikte anderer dargestellt.

Antisemitismus als Kulturtechnik (2024/25, 4K, 21'35min)

Ein Film vom Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst

(Fabian Bechtle und Leon Kahane)

Mit Ausschnitten aus Interviews mit:

Natan Sznaider, Anetta Kahane, Mirjam Wenzel, Lea Wohl von Haselberg, Jeanine Meerapfel, Nora Sternfeld, Dastan Jasim, Ismail Küpeli, Stephan Trüby, Tobias Ebbrecht-Hartmann und Benjamin Steinitz.

Sprecherin: Jette Kupke

Musik: Phillip Sollmann

Besonderer Dank an alle Mitwirkenden.

Dank an die Amadeu Antonio Stiftung, Marius Babias, Franka Bechtle, Lilli, Mechthild Schmidt, Hendrik Schöwe und Lorenz Thierse.

gefördert durch

Die Beauftragte der Bundesregierung

für Kultur und Medien

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